Niedrigschwelliges Angebot der LWL-Klinik Lengerich und der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche der Diakonie
Lengerich (lwl). In Deutschland wachsen zwei bis drei Millionen Kinder in einem Haushalt auf, in dem ein Elternteil oder beide Eltern psychisch- oder suchterkrankt sind. Daraus resultiert für die Kinder ein erhöhtes Risiko, selbst eine psychische Erkrankung zu bekommen. Aus diesem Grund haben Mechthild Bischop, Pflegedirektorin in der LWL-Klinik Lengerich und die Pflegeentwicklerin Regine Groß vor über drei Jahren das Thema „Kinder aus belasteten Familien“ (pflege-)fachlich in den Fokus genommen. Ihr Ziel: Diese Kinder als Angehörige sichtbar zu machen und gemeinsam mit den verschiedenen Beratungsstellen im Kreis Steinfurt ein Netzwerk für ein niedrigschwelliges Unterstützungssangebot aufzubauen. Als Ergebnis verschiedener Kooperationstreffen gibt es nunmehr seit Juni 2021 eine hilfreiche Kooperation zwischen der LWL-Klinik Lengerich und der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche der Diakonie WesT e.V.. „Das Angebot ist zu einem festen Bestandteil unseres Versorgungsangebotes geworden und wird von verschiedenen Behandlungsbereichen der Klinik regelmäßig gebucht“, sagt Mechthild Bischop.
Einmal monatlich besteht die Möglichkeit mit Jan Steinmeier oder Bernd Rosenkranz von der Familienberatungsstelle vor Ort in der LWL-Klinik Lengerich ein beratendes Gespräch zu führen. Das Angebot richtet sich an ambulante, teilstationäre und stationäre Patient:innen sowie deren Angehörige, die sonst vielleicht keine Beratungsstelle aufsuchen würden. Warum, weiß Mechthild Bischop aus Erfahrung: „Manche Patient:innen haben negative Erfahrungen mit dem Jugendamt gemacht, bei anderen wirkt das Klischee, ihnen würden die Kinder genommen, sehr hemmend.“ Das erlebt Julia Strauß, Leitung des Diakonie-Teams in Lengerich, auch: „Es besteht bei vielen eine Unsicherheit, ob wir Informationen aus Gesprächen ans Jugendamt weitergeben. Aber unsere Beratung findet in einem absolut geschützten Rahmen statt, sie ist freiwillig und kostenlos. Generell unterliegen wir der Schweigepflicht, jedoch können Ratsuchende auch gänzlich anonym bleiben.“ Auf Wunsch könne ein Angehöriger oder jemand aus dem Behandlungsteam mit in das Gespräch genommen werden. „Alle Themen sind in dem Gespräch erlaubt. Alles was belastet“, ergänzt Jan Steinmeier und empfiehlt, Kinder und Jugendliche altersgerecht über die Erkrankung und Behandlung aufzuklären. Es sei hierbei wichtig ihnen Ängste zu nehmen und eigene Schuldzuweisungen zu vermeiden. Einige recherchieren viel im Internet und meinen Anzeichen dafür gefunden zu haben, dass sie selbst Symptome aufweisen. „Wir können aber viele Ängste nehmen und Sorgen auch unter Berücksichtigung auf Lebensphasen wie die Pubertät einordnen. Wir beraten junge Menschen bis zum Alter von 27 Jahren – das ist eine große Altersspanne. Mit Jugendlichen machen wir öfter ein „Walk and Talk“-Gespräch.“
Er weiß aus seiner langjährigen Arbeit, dass nicht die Erkankung schlimm sei für ein Familiensystem, sondern die Nicht-Behandlung. Eine seelische Erkrankung könne jeden treffen. Aber oft sei sie eine einmalige, gut behandelbare Lebenskrise. „Wir können schon im Vorfeld einer Behandlung zusammen mit den Klinikmitarbeitenden beratend tätig sein. Es gibt manche Eltern, die Angst davor haben, eine Auszeit in der Klinik oder in einer Reha-Einrichtung zu nehmen, auch wenn sie dringend notwendig wäre. Sie haben große Sorgen, dass die Familie es nicht schafft, dass die Kinder nicht gut betreut wären. Doch es gibt so viele individuelle Hilfsangebote, auf die Eltern einen Anspruch haben.“ Steinmeier erzählt weiter von positiven Verläufen. Oft sei ein Klinikaufenthalt eine gute Auszeit gewesen und mit einer anschließenden ambulanten Therapie durchaus erfolgreich und für die Familie tragbar.
In der LWL-Klinik Lengerich werden Patientinnen und Patienten aus dem ganzen Kreis Steinfurt behandelt. Das heißt, dass die Zuständigkeiten der Beratungsstellen im Kreis Steinfurt unterschiedlich sind. Nach einer Erstberatung kann somit gut geklärt werden, ob weiterer Beratungsbedarf besteht und wo die Ratsuchenden bestmöglich wohnortnahe Unterstützung erhalten können.
Um neben dem Versorgungsauftrag der erwachsenen Bürger:innen auch deren minderjährige Angehörige im Blick zu haben, bildete die LWL-Klinik Lengerich im vergangenen März in einem zweitätigen Seminar 35 Mitarbeiter:innen verschiedener Berufsgruppen aus zum Thema „Die Not von Kindern psychisch erkrankter Erwachsener im Kontext Psychiatrie sehen, aufgreifen und beantworten“.
Wie geht es den Kindern von Patient:innen seelisch? „Diese Frage wird zukünftig nach der Frage zur Versorgungssituation an Bedeutung zunehmen“, berichtet Regine Groß. Die Referent:innen Hanna Wehmschulte und Justinus Jacobs vom Caritas-Kinderheim Rheine führten mit ihrem langjährigen Expertenwissen durch die Grundlagen der Entwicklung, die gesetzlichen Richtlinien sowie durch die Thematik der Kinder psychisch erkrankter Eltern. Ein daraus entstehender Qualitätszirkel aus Mitarbeitenden der LWL-Klinik wird das erworbene Wissen zukünftig in die psychiatrische Arbeit integrieren und als Multiplikatoren das entsprechende Wissen weitervermitteln.
Foto: Sie waren in den letzten zwei Jahren mit ihrem Gesprächsangebot eine große Hilfe für viele Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil (v.l.): Mechthild Bischop, Regine Groß (LWL-Klinik Lengerich) sowie Julia Strauß und Jan Steinmeier (Lengericher Familienberatungsstelle der Diakonie).
Text und Foto: LWL Klinik Lengerich, Jutta Westerkamp