„Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch die Kraft dazu!“ Ein Lebensmotto von Hans-Martin Lagemann, Mitbegründer und erster Geschäftsführer der Ledder Werkstätten. Über 33 Jahre hat er die Einrichtung aufgebaut, entwickelt und ihr das christliche Profil gegeben, das sie bis heute auch prägt. „Nah am Menschen sein“ – Hans-Martin Lagemann hat es gelebt. In den Morgenstunden des 8. Juli ist er im Alter von 84 Jahren in seinem Ledder Zuhause nach längerer Krankheit verstorben. Die Ledder Werkstätten, der Kirchenkreis Tecklenburg und die Diakonie WesT trauern um den Gründer.
Hans-Martin Lagemann und die Ledder Werkstätten muss man in einem Atemzug nennen, so eng war er der Einrichtung verbunden. Ein Blick in seine Vita, die das Leben so vieler Menschen mit Behinderung maßgeblich verändert hat:
Es ist 1968, eine andere Zeit. Menschen mit Behinderung werden auf dem Land mitunter noch versteckt. Die Zeit, als man sie „abholte“, ist so lange noch nicht her. Menschen, die keinerlei Bildung erfahren, manchmal ausgebeutet werden und kaum eine Chance auf ein eigenes Leben bekommen. Diakon Hans-Martin Lagemann kommt als Visionär für eine vielfältige Gesellschaft nach Ledde, weil ihn der Ledder Pfarrer, Hermann Höhn, für eine ganz neue Aufgabe motivieren kann: den Aufbau einer „Beschützenden Werkstatt“.
Behinderung gilt 1968 noch als ein Stigma, und so krempeln Hans-Martin Lagemann und sein erster Mitarbeiter, Werner Wermeyer, mit damals sechs Beschäftigten die Ärmel hoch und „machen“ Werkstatt. Alles ist neu, Vertrauen will gewonnen werden. Als der Geschäftsführer 2001 in den Ruhestand geht, bietet die Einrichtung über 700 Arbeitsplätze und fast 200 Wohnplätze an – eine unglaubliche Entwicklung. In diesen 33 Jahren werden die Ledder Werkstätten zu einem Begriff, zu einer Institution: einerseits als „Partner der Wirtschaft“, denn damals denkt man produktionsorientiert. Andererseits als Fachkompetenz für Menschen mit Behinderung und ihre Teilhabe durch Arbeit.
Der gelernte Gärtner, Krankenpfleger und Diakon entwickelt mit seinem Team unsere bis heute bewusst dezentrale, sozialraumorientierte Struktur. Damals ganz neu: Schon ab 1976 denkt er Verselbstständigung pragmatisch und bietet Menschen mit Behinderung den ersten Wohnraum in Westerkappeln an. Und weshalb soll Teilhabe durch Arbeit nicht auch für Menschen mit Schwerst- und Mehrfachbehinderung funktionieren? Ab 1985 holt er sie nach Lengerich, in die Betriebsstätte Heckenweg auf dem LWL-Gelände. Auch das ist zu jener Zeit wertvolle Pionierarbeit.
Hans-Martin Lagemann wird 1986 Mitbegründer der Tecklenburger Arche-Lebensgemeinschaft behinderter und nicht behinderter Menschen. Er engagiert sich als Presbyter, ist begeisterter Kirchenmusiker, später Vorsitzender des Träger- und Fördervereins Dorfgemeinschaftshaus Ledde. Für seine Lebensleistung aus einem zutiefst christlichen Selbstverständnis heraus wird ihm 2011 das Bundesverdienstkreuz verliehen, in „seinem“ stilvoll restaurierten Dorfgemeinschaftshaus. Diese Auszeichnung nehme er „stellvertretend für Menschen mit Behinderung“ entgegen, wie er damals sagt. Getragen hätten ihn stets „Gottvertrauen und Optimismus“. Und natürlich sind auch bei dieser Ehrung Beschäftigte dabei.
Heute wissen wir sehr gut, dass die Ledder Werkstätten ohne Hans-Martin Lagemann kaum vorstellbar wären. Die neue Unternehmensleitung hat ihn ab 2022 insgesamt noch drei Mal einladen können, zugehört und seine unglaubliche Leistung respektiert. Noch am Tag der Begegnung im Mai war er bei uns und hat den Gottesdienst gemeinsam mit den Kolleg:innen, Beschäftigten und Nutzer:innen sehr genossen.
Der Todestag seiner Frau Dorothea hat sich an seinem Todestag, dem 8. Juli, zum ersten Mal gejährt. Seinen vier Kindern, seiner ganzen Familie sprechen wir alle, die Unternehmensleitung, Mitarbeiter:innen, die Vertretungsgremien, Beschäftigte und Nutzer:innen im Wohnen, unser tief empfundenes Beileid aus. Wir werden Hans-Martin Lagemann als den in Erinnerung behalten, der er Zeit seines Lebens war: ein aufrechter, grundehrlicher, visionärer und zugleich tatkräftiger Christ.
Text und Fotos: Jörg Birgoleit, Ledder Werkstätten